Noah

Ich soll eine Andacht zur Tageslosung vom kommenden Donnerstag schreiben: 1. Mose 6,22. Da lese ich: Und Noah tat alles, was Gott ihm gebot. Das klingt so eindeutig und unzweifelhaft. Aber unter der Oberfläche verbergen sich die Uneindeutigkeiten und Widersprüche des Lebens. Begegnet uns Gott selbst nicht widersprüchlich? Gott ist zornig über die Bosheit der Welt. Da ist der dunkle Wunsch Gottes, mit all dem ein für alle Mal ein Ende zu machen. Ich lese Zeitung, ich schaue die Nachrichten. Es gibt wenig Anlass, an dem Zorn in Gottes Herz zu zweifeln. Dann aber finde ich den genauen Aufriss eines großen Kastens in der Bibel. Die Arche: 300 mal 50 mal 30 Ellen: Bis auf den Zentimeter genau plant Gott die Bewahrung seiner Schöpfung. Ein grandioses Schutzkonzept für das Leben. Ein Bauplan der Liebe. Gott, der Konstrukteur, Noah, das ausführende Gewerk. Noah nimmt den Auftrag an: Und Noah tat alles, was Gott ihm gebot. Aber was mag sich an Zweifeln und Fragen hinter diesem kurzen Satz verbergen?

 

Vor zwei Jahren haben wir ein Musical zur Noahgeschichte mit Kindern und ihren Eltern eingeübt und aufgeführt. Manche der Liedtexte bringen die inneren Widersprüche ans Licht. Noah erscheint da unsicher und überfordert und singt: Herr, wie soll es mir gelingen, so ein großes Schiff zu baun, ich weiß nichts von solchen Dingen, muss dir ganz und gar vertraun. Und es treten auch die anderen auf, die manch inneren Widerspruch zur Sprache bringen. Es treten die auf, die Noah auslachen, sich an den Kopf fassen und den Bau der Arche für überflüssig und übertrieben halten: Zieht euch diesen Deppen rein, fährt das Boot wohl ganz allein?  Der will hier der Captain sein und das ohne Segelschein. Noah, Noah, du meinst du bist schlauer. Noah, Noah, Noah, Gottvertrauer. So singen die andern.

 

Sie merken sicher beim Lesen, wie nahe uns und unserer Zeit diese Geschichte mit ihren Fragen und Erfahrungen ist: Es gibt Streit um Schutzkonzepte, Kampf um Meinungen und um die Definitionsmacht von Gefährdungslagen. Es gibt Interessenkonflikte, Angst und Unsicherheit.

 

Vielleicht hilft uns ja der entschiedene Unterton der heutigen Losung doch: Noah tat alles, was Gott gebot. Gott gebietet, das Leben zu schützen und zu bewahren. Leben ist erst einmal: gesund und lebendig sein. Und wenn dafür alle Anstrengungen unternommen werden, Vieles dem untergeordnet wird, manches vielleicht übertrieben erscheint, dann soll das Bild von der Arche auf der grünen Wiese all die zum Nachdenken bringen, die hinterher immer klüger sind. Leben ist aber mehr als nur gesund und lebendig sein, auch das gebietet uns Gott: Kranke besuchen, Einsame trösten, Fremde beherbergen, Kinder lehren, Gott und das Leben zu loben und zu feiern. All das unter einen Hut zu bringen ist eine Herausforderung. Wie singt Noah: Herr, wie soll es mir gelingen, so ein großes Schiff zu baun, ich weiß nichts von solchen Dingen, muss dir ganz und gar vertraun.

 

[von Pfarrer Andreas Schlechtweg]

[Bild: Theme Inn | Unsplash]

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Sandy (Freitag, 19 Juni 2020 20:20)

    ... Und auch wir vertrauen...