Einen langen Atem haben

„Einen langen Atem haben“ ist in unserer Sprache zu einer Redewendung geworden. Überraschend ist allerdings, dass diese Redewendung oft nur noch im übertragenen Sinne gebraucht wird, als Synonym für „Ausdauer haben“ oder „geduldig sein“.

 

Aber, wo gibt es Menschen mit einem langen Atem im ursprünglichen Sinn des Wortes?

 

Ich denke z. B. an Menschen, die einen gesungenen Ton sehr lange aushalten können. Der normale Durchschnittsmensch hält beim Singen einen Ton mindestens 8 Sekunden, aber Profis können einen Ton weit über 40 Sekunden aushalten, also mehr als fünf Mal so lang. Entscheidend für die Länge der Ein- und der Ausatmung sind meine Atemmuskeln, welche die Lunge auseinander bewegen und wieder zusammenführen. Die Größe des Lungenvolumens selber sagt wenig über einen langen Atem aus.

 

Offensichtlich ist diese Fähigkeit zu sehr langsamen und gleichmäßigen Muskelbewegungen eine besondere Eigenschaft. Sobald ich angespannt, nervös oder aufgeregt bin, wird diese Fähigkeit geringer oder sie geht ganz verloren. Und so müsste man eigentlich sagen: Jemand, der einen langen Atem hat, ist einer, der mit seiner Atemmuskulatur nicht so leicht in Anspannung gerät. Er wirkt ausgeglichener, ruhiger und entspannter.

 

Östliche und westliche Mönche haben diesen langen Atem zu allen Zeiten geübt. Man denke zum Beispiel an die gregorianischen Gesänge mit ihren langen Tonfolgen, sie sind eine tägliche Übung der entspannten Ausatmung.

 

Obwohl der lange Atem wichtig ist, schätzen ihn viele nicht oder haben ihn in unserer kurzatmigen Zeit verloren.

 

Glauben zu erleben, Gott im Leben spüren, das ist eher auch etwas für den langen Atmen:
Man braucht einen langen Atem, wenn man sich als Jugendlicher zur Kirche halten will, obwohl viele Kumpels nur schmunzeln und einen für altmodisch halten.
Man braucht einen langen Atem, wenn man als junge Familie bei unserer modernen Freizeitkultur den Sonntag als Feiertag, vielleicht sogar mit Gottesdienst und Kindergottesdienst gestalten will.
Man braucht einen langen Atem, wenn man als alter Mensch, wenn vieles nicht mehr so wie früher ist und man weniger leisten kann, dafür aber mehr gesundheitliche Beschwerden hat, das Gute im Leben entdecken will.

 

Das alles ist nicht einfach: Aber umgekehrt, verleiht das Vertrauen auf Gott in vielen Lebenssituationen dann doch Zuversicht, Hoffnung, Ruhe … eben einen langen Atmen.

 

Und wie können wir nun einen langen Atem üben?
Den einen Weg kennen viele Leute, die Sport treiben, singen oder anderweitig trainieren. Denn ohne Übung wirds nichts mit dem langen Atem. Beim Sport nicht, aber auch im Alltagsleben und im Glauben. Ich kann keinen langen Atem haben, wenn ich im Alltag schon allein für die 300 Meter zum Bäcker das Auto nehme. Das versteht jeder!

 

Ich schätze es sehr, dass ich das immer wieder in unserer Kirchengemeinde, Nachbarschaft und Familie erlebe, dass die Menschen mit dem langen Atem mir helfen, damit mir nicht die Luft knapp wird.
Vielleicht ist dann der andere so etwas wie der Engel bei Elia, der vorbeikommt und weiterhilft. Mit Wasser und Brot, mit einem guten Wort, mit einem Hilfsangebot, mit einem Lebenszeichen.

 

Ich wünsche uns allen im Leben und im Glauben einen langen Atmen.

 

[von Sabine Jahn, Vertrauensfrau des Kirchenvorstands]

[Bild: Pixabay]

 

 

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Susanne Wittmann-Schlechtweg (Mittwoch, 22 April 2020 14:46)

    Beim Ton, der beim Singen lange ausgehalten wird, sind mir sofort Szenen vom Kirchenchor eingefallen...da gibt es vor allem beim Bass absolute Profis im "lange den Ton halten"! Ich freue mich schon drauf, wenn ich das wieder live erlebe!

  • #2

    Uli Sünkel (Mittwoch, 22 April 2020 17:35)

    Ich kann mich dem Kommentar von Susanne nur anschließen � - mir ging'so genauso

  • #3

    Susanne Freund (Mittwoch, 22 April 2020 19:00)

    Und ich freue mich als Zuhörerin

    Und ich freue mich auf das Lied:
    „Langer Atem, Schritt für Schritt, im Vertrauen, Gott geht mit“