Eine andere Ostergeschichte

Ich möchte Ihnen heute eine besondere Ostergeschichte erzählen aus einem Film, den ich sehr gerne habe - „Harold und Maude“. Harold ist ein junger Mann aus reichem Haus. Er war ein schwieriges Kind und ist es immer noch. Er rebelliert gegen seine Mutter, die ihm wenig Wärme und Liebe schenkt. Immer wieder täuscht er mit großem Aufwand Selbstmorde vor. Aber das lässt sie ziemlich kalt. Maskenhaft sind Harolds Gesichtszüge, seine Augen blicken ins Leere. Er kann sich nicht freuen und er kann nicht traurig sein. Als ihn eines Tages sein Psychiater fragt, wann er sich denn so richtig wohl fühle, sagt Harold nach langem Überlegen: „Eigentlich nur auf Beerdigungen!“ Dem Tod ist er verfallen.

Doch dann ändert sich das Leben von Harold. Auf einer Beerdigung lernt er Maude kennen, eine alte Dame, voller Lebensfreude und Lebenswitz. Sie klaut Autos, wenn sie eines braucht, und hat dabei keinerlei Unrechtsbewusstsein, weil sie es ja wieder an den alten Platz zurückstellt. Maude schafft es, mit viel Humor, Lachen und Lebenslust Harold aus seinem traurigen Leben herauszuholen. Zum ersten Mal lächelt er, zum ersten Mal entdeckt er mit Maude zusammen die vielen kleinen Schönheiten des Lebens. Eine Liebesgeschichte beginnt zwischen dem jungen Mann mit seiner Todessehnsucht und der alten Dame, die respektlos und voller Lebenslust ist. „Wollen wir ein Lied singen?“ fragt sie Harold - und der steht ratlos da und sagt zu ihrem Entsetzen, dass er nicht singen können und kein Lied kenne. Da spielt sie ihm ihr Lieblingslied vor. Hören Sie es sich mit den beiden zusammen an:

Harold hört zu und spürt, wie viel ihm bisher entgangen ist. Er ahnt, wie wenig er bis jetzt gelebt hat. „Ich habe noch nicht gelebt“, sagt er, „ich bin nur ein paar Mal gestorben.“ Maude hört es und weiß, wie wahr das ist. Sie sagt: “Wer den Tod so liebt, der drückt sich vor dem Leben. Man muss riskieren, dass es auch weh tut - das Leben.“ Jetzt endlich fließen die Tränen bei Harold und er kann um alles trauern, was er bis jetzt versäumt hat. Harold lernt nun, das Leben neu zu sehen und zu entdecken. Er schlägt Purzelbäume auf einer Wiese, genießt den Sonnenuntergang, tanzt mit Maude.

Am Ende stirbt Maude, die alte, lebensfrohe Dame. Harold ist untröstlich. Er lässt seinen Tränen freien Lauf. Aber dann spürt er, wie viel Leben ihm Maude geschenkt hat. Und dann tanzt er über eine Wiese und singt: „If you want to be free, be free.“

Eine Ostergeschichte, die einlädt zum Singen und Tanzen. Eine Ostergeschichte, die einlädt, gegen alle Mächte des Todes zu protestieren, mit Freude, mit der Lust am Leben, mit einem Lachen. Verrückt ist es, wie Maude gelebt hat. Verrückt ist die Liebe zwischen Harold und Maude. So verrückt wie das, was am Ostermorgen geschehen ist. Es verrückt unsere normale Sicht der Dinge, unseren nüchternen Blick, unsere Hoffnungslosigkeit.

Ja, eine besonders verrückte Osterzeit erleben wir gerade - verrückt, weil das, was wir am Leben so lieben, zurzeit nicht geht - Menschen umarmen, einander besuchen, feiern, dahin fahren, wohin wir wollen. Verrückt - und doch ist Ostern da mit all seinem Licht, mit seiner Freude, mit seiner Melodie. Hören Sie doch noch mal auf Maudes Lieblingslied und tanzen Sie in Gedanken mit Harold auf der Wiese!

[von Pfrin. Susanne Wittmann-Schlechtweg]

[Lied: Cat Stevens, If you want to sing out, sing out]

[Bild: Jonas Weckschmied | Unsplash]