Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben, so dichtet Paul Gerhard in seinem bekannten Lied. Das Herz unterliegt anscheinend keinen Ausgangsbeschränkungen. Das Herz darf jederzeit ausgehen, wohin es auch immer will.
Die Frage ist nur: Ob es denn will, mein Herz. Oder ob es lieber zuhause sitzen bleibt, sich lieber einigelt und Trübsal bläst. „Jetzt geh mal raus an die frische Luft,“ hat meine Mutter zu mir gesagt, wenn ich Nachmittage lang im Dämmer meines Zimmers versunken bin. Paul Gerhard jagt sein müde gewordenes Herz vor die Tür. Geh aus und mach dich auf die Suche – eine wahrlich österliche Übung. Geh aus mein Herz. Fang an zu suchen, was Gott, der Schöpfer, dir draußen so alles versteckt hat. Und du wirst sehen: Finden macht Freude.
Vielleicht wenden Sie jetzt ein: Ich soll doch gerade in dieser Zeit zu Hause bleiben. Wie soll mein Herz da Freude finden? Dann hören Sie jetzt gut zu:
Rosa Luxemburg kam während des 1. Weltkrieges ins Gefängnis. Sie hatte eine Rede gehalten gegen die Misshandlung von Soldaten beim Militär. Das machte sie in Kriegszeiten verdächtig und gefährlich. Aus ihrer Gefängniszelle heraus schrieb sie Briefe an ihre Freundin Sonja. Ihr Ausgang war nicht nur beschränkt so wie unserer. Er war unmöglich. Aber ihr Herz ging vor die Tür, es suchte und es fand Trost und Freude.
Sie hören jetzt aus einem ihrer Briefe und gleichzeitig hören Sie Vogelstimmen, aufgenommen am frühen Morgen des Ostersonntags. Ein ganz eigenes Osterlied, voller Freude über das erweckte und erwachende Leben.
Sonjuscha, mein Liebling
Trotz Sonne und Wärme sind meine Vöglein nach und nach fast ganz verstummt. Sie sind offenbar alle vom Brutgeschäft sehr in Anspruch genommen, die Weibchen sitzen im Nest und die Männchen haben „alle Schnäbel“ voll zu tun, um für sich und ihre Gattinnen Nahrung zu suchen. Nur hier und da schlägt kurz die Nachtigall, oder der Grünling macht seine klappernden Triller; oder spätabends schmettert noch ein zwei Mal der Buchfink. Glauben Sie mir, Sonjuscha, dass mich ein solcher kleiner Vogelruf, in dem so viel Ausdruck liegt, tief ergreifen kann. Meine Mutter, die nebst Schiller die Bibel für der höchsten Weisheit Quell hielt, glaubte steif und fest, dass König Salomo die Sprache der Vögel verstand. Ich lächelte damals mit der ganzen Überlegenheit meiner 15 Jahre über diese mütterliche Naivität. Jetzt bin ich selbst wie König Salomo: Ich verstehe auch die Sprache der Vögel…die verschiedensten Nuancen und Empfindungen, die sie in ihre Laute legen. Ich weiß, wenn ich noch im Herbst hier bin, was aller Wahrscheinlichkeit nach der Fall sein wird, dann werden alle meine Freunde wieder zurückkehren und an meinem Fenster Futter suchen; ich freue mich schon jetzt auf die eine Kohlmeise, mit der ich besonders befreundet bin.
[von Pfr. Andreas Schlechtweg, mit Pfrin. Susanne Wittmann-Schlechtweg]
[Bild von Jan Meeus | Unsplash]
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Susanne Freund (Freitag, 17 April 2020 16:45)
Zur Zeit ist oft das Vogelzwitschern oder das Brummen der Hummeln das lauteste Geräusch in unserem Garten.
Das erfreut auch mein Herz!
Aber welch eine mutige Frau, deren Herz sich am Vogelgesang trotz ihrer aussichtslosen Situation erfreuen kann - die sozusagen ihr Herz spazieren gehen lässt , wenn sie es selbst schon nicht kann.