Ich sitz auf dem Fensterbrett und schau hinaus. Da kommt ein Mann die Straße runter mit einem Baseballschläger in der Hand.
Mein Puls geht hoch.
Der Mann stiefelt auf mein Haus zu, mit starken Schritten. Der hat was vor mit seinem Baseballschläger.
Meine Gedanken rasen. Mir wird schlecht.
Da bleibt er stehen. Direkt vor dem abgestellten Fahrrad meiner Nachbarin.
Er nimmt den Baseballschläger in beide Hände. Ich bin die einzige Zeugin. Ich muss den Täter beschreiben können. Also nehm ich meine Brille und setz sie auf.
Und da seh ichs: das ist gar kein Baseballschläger. Das ist eine Rolle aus Packpapier. Der Mann wirkt jetzt nervös. Er schaut sich um, nach links, nach rechts, nach oben zum zweiten Stock. Dann nestelt er an dem Papier herum. Er wickelt die Rolle auf. Und da ist: eine Rose. Hastig legt er sie in den Fahrradkorb meiner Nachbarin. Er schaut nochmal hoch zu ihrem Fenster… und huscht davon.
Siehe. Heißt es in der Bibel. Immer wieder siehe. Schau hin, schau genau hin.
[von Vikarin Natalie Schreiber]
[Bild von Marten Newhall | Unsplash]
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Susanne Freund (Donnerstag, 16 April 2020 10:51)
Siehe...hinschauen, anschauen, in Blick nehmen, im Blick haben - jetzt ganz besonders wichtig - den anderen, aber auch sich selbst!
Manchmal braucht es auch einen zweiten und dritten Blick.
Und ist es nicht auch gerade jetzt tröstlich zu wissen
„Siehe, ich bin bei euch alle Tage...“
Sandy (Donnerstag, 16 April 2020 18:27)
Genau hinsehen... Gerade jetzt so wichtig... Das ist mir genau heute noch mehr aufgefallen als sonst... Geht es der älteren Dame in der Nachbarschaft gut? Heute ist sie gar nicht auf ihrem Balkon... Ich hab sie heute noch gar nicht gesehen... Seltsam...
Also laufe ich doch später nochmal an ihren Haus vorbei und schaue genau hin... Und ja, jetzt ist sie da... Erleichtert arme ich auf.
Ein nettes Lächeln, ein Hallo von weitem... Und die Gewissheit, es geht ihr gut.