Mit Gott am Boden

„Mama, liest du mir nochmal die Geschichte vor, wo Jesus hinfällt?“ fragt mich meine Fünfjährige und legt mir die Kinderbibel aufs Knie. Die Geschichte, wo Jesus hinfällt? Ich hab keine Ahnung, was sie meint. Ungeduld breitet sich aus im kleinen Gesicht. „Mama! Wo Jesus sich so fürchtet, dass er hinfällt!“ Sie schlägt energisch das Buch auf und blättert. „Da!“

 

Natürlich. Jesus im Garten Gethsemane. Der Moment, kurz bevor Jesus von den Soldaten verhaftet wird. Jesus fürchtet sich so sehr, dass er hinfällt, erklärt meine Tochter. Und jetzt seh ichs auch. Auf dem Bild, vor schmutzigblauem Hintergrund, hat es Jesus einmal der Länge nach hingelegt. Mit den Händen stützt er sich grad noch ab. Er sieht aus, als wär ihm sein eigener Kopf zu schwer. Die Augen hat er geschlossen. Alles aussperren, ganz nach innen, tief atmen, Panikattacke.

 

„Mein Vater, hilf mir! Ich habe Angst.“ steht da drüber als Text.

 

Mein Kind hört mir gebannt zu, wie ichs vorlese, und versinkt im Bild mit dem abgestürzten Jesus.

 

„Mama, warum nimmt den niemand in den Arm?“

 

So kennt sie das. Wenn man sich fürchtet, dann kuschelt man sich ein bei jemandem. „Dann krumpelt der Bauch nicht mehr so.“ sagt sie.

 

Aber Jesus nimmt keiner in den Arm.

 

Ich schau Jesus an, wie er sich an der Erde festhält. Und denk an die, die grad niemand in den Arm nimmt. Weil sie ganz allein daheim sitzen müssen, bis die Gefahr vorüber ist. Wenn es mir so ginge: wie gerne würde ich mich bei jemandem einkuscheln.

 

Und ich bilde mir ein, der Gründonnerstag kommt in diesem Jahr besonders nah an mich ran. Da wird von meinem Gott gesagt, dass er ganz genau weiß, wie es ist, mutterseelenallein zu sein. Ausgerechnet dann, wenn es mir vor Angst die Füße wegzieht. Der schwebt nicht über den Dingen und damit weit weg von meiner Einsamkeit. Den knallts auf den Boden, zusammen mit mir. Und dann halten wir dort aus und kuscheln uns beieinander ein. In der Hoffnung, dass der Bauch dann nicht mehr so krumpelt.

 

[von Vikarin Natalie Schreiber]

[Bild von Kees de Kort]

 

 

 

 

 

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Sabine Zwiers (Donnerstag, 09 April 2020 15:07)

    Mich hat der Beitrag und das Bild dazu gebracht die Neukirchener KinderBibel hervor zu holen und die Geschichte auch mal wieder zu lesen.
    Dabei natürlich auch an die früheren Gründonnerstage mit meinen Kindern erinnert.

  • #2

    Susanne Freund (Freitag, 10 April 2020 17:40)

    Liebe Natalie, mir ist gestern das Bild von Jesus am Boden den ganzen Nachmittag und Abend nicht mehr aus dem Kopf gegangen - wieviele Menschen sich jetzt wohl auch ganz unten fühlen?